Double Bind | Podwójne wiązanie

Für Ammon ist die Erfahrung des „Double Bind“ die symbolische Konfrontation mit dem schwierigen Wissen über die Vergangenheit ihres Großvaters, der bis 1941 als Übersetzer für die Deutschen in Litauen arbeitete und danach mit der Familie im besetzten Polen lebte.

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Ausstellungsansicht: Double Bind, Studio Gallery Warsaw, Der Elch, 2007/2013, Mixed Media // Verwandtschaft, 2007, Video

 

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Ausstellungsansicht: Double Bind, Studio Gallery Warsaw, Der Elch, 2007/2013, Mixed Media

 

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Ausstellungsansicht: Double Bind, Studio Gallery Warsaw, Der Elch, 2007/2013, Mixed Media // Neutrale Zone, 2007, Video // Der Samowar, 2007, Video // Diorama, Fotografie 90 x 70 cm, gerahmt

 

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Ausstellungsansicht: Double Bind, Studio Gallery Warsaw, Heile, heile, Soundinstallation, 2013

 

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Ausstellungsansicht: Double Bind, Studio Gallery Warsaw, Heile, heile, Soundinstallation, 2013

 

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Ausstellungsansicht: Double Bind, Studio Gallery Warsaw, Detail: Schautafel (Fotos, Videostills, Notizen, Dokumente) Transparentpapier, 2006/2007, 230 x 300 cm

 

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Ausstellungsansicht: Double Bind, Studio Gallery Warsaw, Detail: Schautafel (Fotos, Videostills, Notizen, Dokumente) Transparentpapier, 2006/2007, 230 x 300 cm

 

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Ausstellungsansicht: Double Bind, Studio Gallery Warsaw, Detail: Schautafel (Fotos, Videostills, Notizen, Dokumente) Transparentpapier, 2006/2007, 230 x 300 cm

 

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Ausstellungsansicht: Double Bind, Studio Gallery Warsaw, Detail: Schautafel (Fotos, Videostills, Notizen, Dokumente) Transparentpapier, 2006/2007, 230 x 300 cm

 

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Ausstellungsansicht: Double Bind, Studio Gallery Warsaw, Diorama (Naturkundemuseum Kaunas, 2005, 90 x 70 cm, gerahmt

 

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Ausstellungsansicht: Double Bind, Studio Gallery Warsaw, Detail: Germans are good, 1999, MDF-Platten, Tafelfarbe, Kreide, je 60 x 120 x 0.3 mm

 

Stefka Ammon schlägt eine reale und gleichzeitig fiktive Reise durch Zeit und Raum vor, in welche sie jugendliche Faszinationen, Vorstellungen, erste künstlerische Impulse, Phantasien und die Familiengeschichte einbringt. Ammons Arbeiten sowie ihr Gesamtwerk haben die Struktur eines „Roadmovies“, in welchem Jahr für Jahr verborgene und schwer fassbare Zusammenhänge entdeckt werden.

Das „double bind“ beschreibt eine pathologische Konstellation, eine widersprüchliche Übermittlung in der Familie, eine „Blockade“. In der Psychologie ist „double bind” mit Kindheit und Erwachsenwerden verbunden – die Eltern senden dem Kind widersprüchliche verbale und emotionale Signale. Der Begriff der „Doppelbindung“ wurde etwa 1955 von dem Anthropologen Gregory Bateson formuliert. Er beschreibt den Moment, in dem die Wirklichkeit dem zwischen negativer und positiver Übermittlung hin und her gerissenen Kind entgleitet und der zum Verlust des Vertrauens in die eigenen Ansichten, des eigenen Wissens und die eigenen Gefühle sowie zu Unfähigkeit der Formierung einer individuellen Identität führt.
Für Stefka Ammon ist die Erfahrung der „Doppelbindung“ die symbolische Konfrontation mit dem schwierigen Wissen über die Vergangenheit ihres geliebten Großvaters, der vor dem Überfall der Nazis auf die Sowjetunion als Übersetzer für die Deutschen in Litauen arbeitete. Auch seine Brüder, die der Wehrmacht und z.T. der SS angehörten und die unter anderem im Konzentrationslager Sachsenhausen-Oranienburg „tätig waren“. Alle schwiegen darüber.

Die Arbeiten von Ammon sind eine Aufzeichnung dieser Erfahrung, die aus Narration und Autokommentaren besteht. Parallel dazu wird der Versuch der Findung der künstlerischen und persönlichen Identität unternommen. Ausgangspunkt ist die Erschaffung einer eigenen Narration außerhalb des Schemas des „Erbes“ von nationaler Identität und Schuld.
Seit dem Jahr 2000 dokumentiert die Künstlerin ihre Forschungsreisen u.a. in die USA, in Deutschland, und zuletzt Polen und Litauen, wo sich ihre deutsche Familie im 18. Jahrhundert ansiedelte. Den Beginn dieses Weges stellten die Vorbereitungen auf die Diplomarbeit im Jahre 2000 dar. Ihr Film „Going to See Bruce Nauman“ dokumentiert den nicht stattgefundenen Besuch bei dem berühmten US-amerikanischen Konzeptkünstler Bruce Nauman auf seinem Anwesen in Galisteo, New Mexico. Seit dieser Zeit folgt Ammon den Spuren realer, fiktiver oder verschollener Mitglieder der eigenen Familie, unter anderem des in Gelgaudiškis geborenen Großvaters, seiner Brüder aber auch denen des Helden ihrer kindlichen Träume – Winnetou. Dabei geht auch mal die Kamera kaputt, ist kein Aufnahmewerkzeug mehr, das Untersuchungsthema entgleitet der Künstlerin und das Auffinden von Schlüsselfiguren erweist sich als unmöglich. Die „Reise“ ist im Schaffen von Stefka Ammon von Beginn an symbolisch durch das „Ausweichen“ gekennzeichnet – als eine misslungene, nie erfüllte Konfrontation. Nach der mühevollen Tour durch New Mexico mit ihrem sie begleitenden Freund Ethan Jackson verzichtet die Künstlerin im letzten Moment, praktisch vor der Tür seines Hauses auf den Besuch bei Nauman und weicht vor der Konfrontation der Vorstellung mit der Realität zurück.

Die Konfrontation von Projektionen mit realen Orten, Ereignissen und Personen erscheint auch konsequent in den nächsten Filmen und Projekten von Ammon: im humorvollen Winnetou Finden (2003); im enigmatischen „Samowar“ (2007), einem Film, der in Vilnius in der Wohnung des verschollenen Onkels Georg gedreht wurde; in „Stalking Moose“, wo sie das Jagen der Elche durch die Jäger im Nationalpark des Nemunas-Deltas zeigt, oder in der „Neutralen Zone“, einem im Konzentrationslager Sachsenhausen, in dem der Bruder ihres Großvaters Edmund (Emo) Wachmann war, gedrehten Film.

Der Film Winnetou Finden konfrontiert die Wirklichkeit mit der Projektion der jungen Künstlerin und den kulturellen Stereotypen. Er verifiziert die kindlichen Vorstellungen über die im 19. Jahrhundert von Karl May erschaffene, „mythische“ literarische Lieblingsfigur, die in Deutschland und der ganzen Welt überaus populär ist. Im Roman Winnetou tritt neben dem Titelhelden ein zweiter Superheld auf – Old Shatterhand, ein Deutscher, der sofort nach der Ankunft im Wilden Westen zu einem erfahrenen Reiter, Fährtenleser und Verteidiger der „guten“ Apachen in ihrem ungleichen Kampf gegen die bösen Yankees wird. Ammons Film besteht aus zwei Teilen: dem deutschen, der in Sachsen bei Dresden, unweit des ehemaligen Hauses von Karl May, der Villa „Shatterhand“ in Radebeul gedreht wurde, und dem amerikanischen, in welchem der Aufenthalt in New Mexico in Albuquerque und das Treffen mit Oliver Enjady, einem Apachen aus Mescalero dokumentiert werden. Wie bereits bei der Verfilmung der Reise zu Bruce Nauman oder dem Gespräch mit dem Cousin Waldemar ihres Großvaters im Werk Verwandte endet auch dieses Mal der Film abrupt – die Erfahrung bietet keine Lösung, sie kann auch nur annähernd beschrieben werden.

Die Installation Der Elch (2007/2013) bezieht sich auf die nostalgischen Erzählungen des Großvaters der Künstlerin und das in seinem Büro hängende Bild, die in der Kindheit von Stefka Symbole der Sehnsucht nach dem verlorengegangenen mythischen Land waren, nach einem Ort, der ein wirklichen Familienhaus darstellt. Die filmische Aufzeichnung der Reise auf der Suche nach dem mythischen Tier in Begleitung von Vytautas Bludzius und Arunas Miklovis, Jägern und Kennern des litauischen Urwalds, endet mit dem Auffinden von Elch-Exkrementen und der Ansicht des in der Ferne verschwindenden Tieres.

2013, Barbara Piwowarska (Übersetzung: Edyta Buksak)