Die Äbtissinnen von Herford

Kunst am Bau Wettbewerb – Realisierung 2023

Der Ansatz konzentriert sich auf die einflussreiche und lange Geschichte des Stifts Herford. Wie sehr die Frauen des Damenstifts mit ihrer Fürstabtei und unmittelbaren Reichsabtei über tausend Jahre die politischen, wirtschaftlichen und geistig-kulturellen Geschicke der Stadt Herford und der Region prägten, dämmert selbst Besucher*innen des Münsters und auch denen des zukünftigen Archäologischen Fensters erst nach der Wissensvermittlung durch den Besuch der Ausstellung und/oder eine versierte Führung.

Die Namen aller Äbtissinnen vom 9. bis zum 19. Jahrhundert sind lückenlos bekannt. Herford rühmt sich als “Stadt der starken Frauen”. Einzelne Äbtissinnen werden im Stadtraum gewürdigt, wie auch andere weibliche Impulsgeberinnen u.a. des 20. Jahrhunderts, wie Friederike Nadig, die auf dem Rathausplatz mit einer zeitgenössischen Bronzearbeit von Asta Gröting geehrt wird.

Laut Auslobung soll in der zukünftigen Dauerausstellung des Archäologischen Fensters der Schwerpunkt des geplanten medialen Story-Tellings (neben der Gründungsgeschichte Herfords) auf der jüngeren Geschichte des Frauenstifts und ihrer maßgeblichen Äbtissinnen liegen.

Der Entwurf sieht vor alle 43 Äbtissinnen (einschließlich der drei Gegenäbtissinnen verschiedener Zeiten) von 803 bis 1803 mit ihrem Namen und somit als Individuen am Ort ihres Wirkens sichtbar zu machen. Sie sollen den Eingangsbereich des Archäologischen Fensters mit ihren Namen prägen.

Eine (zur Straße/Marktplatz hin) flächig in die Stirnseite der Betonträger der rechts von der Wolperus-Kapelle geplanten Kolonnaden unsichtbar eingebaute LED-Fläche (32 LED à 5mm in der Höhe, Abstand je 10mm); wird auf einer Breite von ca. 3m (Höhe ca. 35 cm) die Namen der Äbtissinnen dezent einblenden. Durch die Verwendung von Lichtbeton bleibt die Farbigkeit des Betons erhalten, das Licht ist weiß. Es scheint, als würden die Namen aus dem Inneren der Kolonnaden hervorschimmern.

Die Pixel der LEDs diffundieren durch den verwendeten Lichtbeton (Hersteller Fa. Lucem, Aachen) zu historischen Schriften, die wie ein Türöffner zu vergangenen Zeiten, Biografien und Lebenswelten wirken.

So wie das Archäologische Fenster selbst nur rudimentäre Fragmente aufzeigen kann und das Gesamtbild des einstigen Stifts Herford im Kopf der Besucher*innen entstehen muss, spielt auch dieser Entwurf mit der Wahrnehmung: je näher man kommt, desto klarer wird es: wir befinden uns in der Gegenwart, denn es handelt sich um eine Lichtarbeit. Der Standort wurde aufgrund der Annahme gewählt, dass die Besucher*innen von dieser Kolonnade aus auf das Gelände des Archäologischen Fensters gelangen.

Mit der Schrift soll dabei auch die Zeitspanne von 1.000 Jahren dargestellt werden: zum einen ziehen die Namen der Äbtissinnen langsam und nacheinander in chronologischer Reihenfolge ihres Wirkens vorüber. Die Zeitspanne für den Gesamtdurchlauf aller Namen plane ich auf ca. 7 min (ca. alle 10 – 15 Sekunden erscheint ein neuer Name am rechten Rand und läuft langsam gleitend bis zum linken Rand). 7 Minuten für 1.000 Jahre Geschichte. Die finale Programmierung läuft in Abstimmung mit den Nutzer*innen.

Zum anderen haben sich über die Jahrhunderte genutzten Schriftarten und -bilder immer wieder gewandelt: Von spätantiken romanischen Unzialen über die verschiedenen Revivals von Anitquas, von variierenden gebräuchlichen Kurrentschriften bis zu den sich immer weiter verändernden Frakturen lässt sich die Zeit sichtbar machen. Jeder Äbtissin wird eine ihrer Zeit entsprechende Schrift zugeordnet. Optisch durchläuft man so eine Chronologie vom 9. bis zum 19. Jahrhundert. Dafür werden auch die in der Stiftskirche auf Grabgelegen erhaltene Schriften als Vorlagen herangezogen.

Es ist für die Betrachter*innen, die Besucher*innen und Flaneur*innen nicht entscheidend, ob sie die gesamte Sequenz über die ca. 7 min. mit allen Namen sehen. Die Äbtissinnen und die Zeit, die man „antrifft“, können immer wieder andere sein. Vielleicht beginnt der eine oder die andere Passant*in auch damit, einzelne Namen zu googlen, oder erkennt sie beim Besuch des Archäologischen Fensters wieder.

Die Kunst am Bau möchte mit leicht zu wartender, lang lebiger und zeitgemäßer Technik die Namen und somit die Kontinuität des Wirkens der Frauen sichtbar machen, die über lange Zeit und weit über Herford hinaus ihre Spuren in der Geschichte hinterlassen haben. Die Arbeit fügt sich dezent in die neue, das Gelände strukturierende Architektur ein und erweitert diese um eine gedankliche Dimension hin zu den Personen, die hier gelebt haben.

Äbtissinnen von Herford wirkt in die Stadt hinein und tritt in Dialog: mit den anderen starken Frauen der Stadtgeschichte, mit den Passant*innen, Anwohner*innen und lädt alle auf sehr persönliche Weise zum Besuch des neuen Archäologischen Fensters und der Auseinandersetzung mit Ihrer und somit unserer Geschichte ein.